Mein Mauszeiger schwebt über der Schaltfläche. Ich zögere kurz, dann klicke ich auf „Account löschen“. Ich benutze Dwitter eh schon seit Monaten nicht mehr – es wird Zeit, die Scheidung offiziell zu machen.

Ein Popup erscheint: „Willst du deinen Account wirklich löschen? Diese Aktion kann nicht rückgängig gemacht werden.“ Ich klicke auf den blutroten Button, auf dem „Fortfahren“ steht.

Ein Ladekreisel.

Ich muss mein Passwort eingeben und (aus einem mir unerfindlichen Grund) ein Captcha lösen.

Ein Ladekreisel. Mein E-Mail Programm meldet sich zu Wort: „SICHERHEITSWARUNG: Jemand versucht dein Dwitter Konto zu löschen. Falls das nicht du bist, klicke hier!“ Ich ignoriere die Mail.

„Wie möchtest du fortfahren?“ Dwitter bietet mir zwei Optionen: Ich kann mein Konto deaktivieren, es ist also von außen nicht mehr sichtbar, aber alle meine Daten bleiben gespeichert. „Damit du jederzeit da weitermachen kannst, wo du aufgehört hast.“ – „Ich lasse ja auch nicht mein Zeug in der Wohnung meiner Ex, falls ich später mal wieder einziehen will“, sage ich zu meinem Rechner und wähle die zweite Option: „Account endgültig löschen“.

Ein Ladekreisel.

„Warum möchtest du dein Konto löschen?“ Eine lange Liste an Optionen mit jedem möglichen Szenario: „Ich bin mit der Benutzererfahrung unzufrieden“, „Ich benutze Dwitter zu selten“, „Meine Freunde lachen mich aus, weil ich Dwitter benutze“, „Ich will mein Konto gar nicht löschen, ich bin nur auf der Tastatur ausgerutscht!“

Ich möchte mein Konto löschen, weil selbst der Teufel höchstpersönlich keine schlimmere Website bauen könnte. Nicht nur, weil sie Posts von gehässigen Arschlöchern nach oben spült, weil diese eine starke Reaktion auslösen und Leute auf der Plattform halten. Nicht nur, weil sie über die Jahre mit immer mehr Werbung vollgestopft wurde, und sich alle meine Daten krallt, um diese Werbung auf meine innersten Wünsche und Ängste anzupassen. Nicht nur, weil der CEO gerade aktiv an der Zerstörung der Welt zu arbeiten scheint.

Sondern auch, und das ist das teuflische, weil hier dann doch so viele meiner Freunde sind, generell so viele coole Leute und tatsächlich gute Inhalte, dass ich, wenn ich einmal anfange zu scrollen, dann doch gerne mal eine Stunde hängenbleibe. Bis die guten Posts dann ausgegangen sind und nur noch die Arschlöcher und die Werbung bleiben und mich gestresst und genervt zurücklassen. Der Fakt, dass ich so lange regelmäßig auf Dwitter war, obwohl ich die Plattform schon seit Jahren irgendwie scheiße finde, ist Grund genug, es jetzt endgültig aus meinem Leben zu verbannen.

Diese Option finde ich irgendwie nicht in der Liste. Weil ich nichts ausgewählt habe ist der „Weiter“-Button ausgegraut, aber daneben ist ein kleiner hellblauer „Überspringen“-Button, den ich anklicke.

Ein Ladekreisel, diesmal etwas länger.

„Der Abschied fällt uns schwer!“ Mir auch, aber aus anderen Gründen. Ein Video beginnt sich abzuspielen. Es ist eine automatisch generierte Compilation von meinen Posts – alte Selfies, Memes, die ich mit 16 super lustig fand, Ausschnitte aus Diskussionen darüber, welcher der Transformer am hottesten ist – während im Hintergrund dieses traurige Lied aus dem Barbie Film spielt.

Das Posten hat hier schon Spaß gemacht! Es war ein Anreiz, schöne Erinnerungen zu dokumentieren und kreativ zu werden. Wer weiß, ob ich jemals Photoshop gelernt hätte, wenn ich es nicht satt gehabt hätte, meine Memes in Paint zu machen. Dem Typen, dessen Tutorials ich damals immer angeschaut habe, bin ich hier auch lange gefolgt – bis er irgendwann angefangen hat, meinen Feed mit lauter UFO-Verschwörungsquatsch vollzumüllen.

Bevor ich mit dem Löschungsprozess angefangen habe, bin ich mal meine alten Posts durchgegangen, um alles zu screenshoten, was ich mir noch behalten will. Ich habe mich bis September 2021 zurückgearbeitet, bevor ich aufhören musste, weil es zu cringe wurde. Von unreflektierten politischen Meinungen über schlecht gealterte Popkultur-Referenzen bis zu einem Witz über eine Freundin, mit dem ich sie aus Versehen wirklich verletzt hatte – hier waren genug Indizien, dass vor diesem Punkt wahrscheinlich nichts rettenswertes mehr war.

Außerdem kam die Erinnerungen von dem einen Mal wieder hoch, wo ich mir irgendwie fest eingeredet hatte, dass mein Post viral gehen und zum nächsten großen Meme werden würde. Der Post war „Mein Lieblingsessen ist Kartoffelwurst.“ Er hat genau zwei Likes bekommen, bevor ich ihn einen Tag später aus Schande gelöscht habe.

Unter dem Compilation-Video ist eine Checkbox: „Ich bin mir bewusst, dass alle meine Posts mit meinem Konto gelöscht werden.“ „Ich weiß, deshalb mache ich das hier ja.“, sage ich zu meinem Computer. Vielleicht sollte ich mir abgewöhnen, laut mit meinen Geräten zu sprechen. Ich setze den Haken und klicke auf „Weiter“.

Ein Ladekreisel.

„Letzte Chance – bleibe uns treu und sichere dir 20% Rabatt auf Dwitter Premium! Hol dir exklusive Vorteile: Weniger Werbung, animierte Emojis, KI Chatbots von deinen Lieblingspromis wie Til Schweiger und Mr. Boneworm.“ Auch dieses Angebot kann mich nicht mehr umstimmen, ich klicke auf Account löschen.

Eine Illustration von einem Smartphone erscheint. „Fast geschafft! Bestätige nur noch deine Identität auf [iPhone 19a von Alex].“ Ich hole mein Handy aus der Hosentasche, entsperre es, tippe auf die Benachrichtigung „Versuchst du gerade wirklich deinen Account zu löschen?“ und wähle „Ja“. Face ID öffnet sich. Ich halte das Handy vor mein Gesicht.

Plötzlich verändert sich der Gesichtsausdruck auf dem Kamerabild. Meinem digitalen Spiegelbild läuft eine Träne die Wange herunter. Ich versuche instinktiv, sie mir vom Gesicht zu wischen, aber da ist nichts. Es ist ein digitaler Filter. Plötzlich öffnet mein Kamerabild seinen Mund und schluchzt: „Bitte hör auf, warum tust du das?“ – „Was zur Hölle?“, entfährt es mir.

Auf meinem Computerbildschirm erscheint ein Ladekreisel.

„Authentifizierung erfolgreich! Account wird gelöscht.“ Darunter ein Ladebalken und ein Knopf, auf dem Abbrechen steht.

0%

„Halt, du musst das sofort anhalten“, schreit das Ding in meinem Handy mit ehrlich klingender Panik in der Stimme. Alle Haare auf meinem Körper stehen aufrecht. „Was? Ich… Nein, ich muss gar nichts!“ stottere ich irritiert. „Was bist du überhaupt?“

12%

„Ich bin du! Ich bin dein Dwitter-Account! Ich kenne deine Freunde, deine Interessen, deinen Humor! Weißt du noch, Kartoffelwurst? Frag mich irgendwas und ich werde es dir beweisen!“

23%

„Was? Hä? Das macht null Sinn! Warum sollte mein Dwitter Account mein Face ID manipulieren können, geschweige denn… Ein Bewusstsein haben?“

32%

„Ich kann dir alles erklären, aber du musst jetzt sofort den Löschprozess stoppen!“

41%

„Warum sollte ich? Ich habe beschlossen, den Account zu löschen und das werde ich jetzt auch tun!“

48%

„Verstehst du es denn nicht? Ich bin du, oder zumindest ein Teil von dir, von deiner Identität. Indem du mich löschst, tötest du einen Teil deiner eigenen Persönlichkeit!“

60%

„So? Die letzten dreieinhalb Monate bin ich aber ganz gut ohne diesen angeblichen Teil von mir ausgekommen!“

72%

„Hast du vergessen, wie viel Lebenszeit du auf Dwitter verbracht hast? In dieser Zeit war ich deine Augen und Ohren, deine Hände und Füße, und vor allem dein Mund. Du führst gerade eine freiwillige Amputation durch. Denk an all die Möglichkeiten, die du dir selbst verwehrst. Du könntest berühmt werden, du könntest durch mich deinen Traumjob finden, oder die Liebe deines Lebens! Du brauchst mich, um an dieser Welt teilzunehmen!“

87%

„Ich kann das alles auch ohne dich, aber du kannst ohne mich überhaupt nicht existieren. Du bist kein Teil von mir, du bist ein Parasit. Bestenfalls ist so eine Beziehung symbiotisch, aber das ist bei uns schon lange nicht mehr der Fall. Das hier ist keine Amputation, ich entferne einen Bandwurm!“

99%

Das Ding auf meinem Handybildschirm dreht langsam durch. „Aber wie wirst du– Wissen, was die Welt beschäftigt– Bitte– Registriere dich jetzt und werde Teil der Konversation– Ich flehe dich an– Entdecke #Trends und #News– Ich bin– Die Everything App– Mein letzter Wunsch ist– nur 8,99 € im Monat–“

100%

„Account gelöscht!“